»Morgens sehe ich nach, ob es neue Züge gibt«
Der 1956 in
Sassnitz
(auf Rügen, Deutschlands größter Insel) geborene und heute in der
Hansestadt Stralsund
lebende Hans-Jürgen Isigkeit ist ein begeisterter Fernschachspieler. Er ist Mitglied
des Deutschen Fernschachbundes
(BdF)
und Turnierdirektor im Weltfernschachverband
(ICCF). Er trägt die Titel:
Internationaler Fernschachmeister (IM) und Internationaler Schiedsrichter (IA).
Darüber hinaus ist er seit 1993 im Landesschachverband von Mecklenburg-Vorpommern aktiv tätig.
In seiner Funktion als Landesspielleiter organisierte und gestaltete er aktiv den Spielbetrieb samt Einzelmeisterschaften.
In seiner jetzigen Funktion als Schatzmeister hat er ebenfalls die Finanzen fest im Griff.
Dem »normalen« Schachsport geht er bei der
Fachhochschulsportgemeinschaft Stralsund (FHSG Sralsund) seit 2003 nach,
Zwischenstationen waren Jasmund, Niepars, Dynamo Stralsund, TSV 1860 Stralsund.
Das Foto entstand bei den Schulschachmeisterschaften MVP, die in Stralsund (Mensa der Fachhochschule)
im März 2006 stattfanden. Hans-Jürgen unterstützt seinen Verein bei der Durchführung des Turniers; Foto: Robert Zentgraf
Er hat dem Webmaster des Landesschachverbandes, Gerd Zentgraf, Rede und Antwort gestanden.
Hier Teil 3 des Interviews:
Ist es von Vorteil, dass man als Fernschachspieler auch "normales" Schach spielt?
Leider ist das so! Für mich als schwachen "Normalschachspieler" bedeutet das,
dass ich mir viele Dinge erst mühsam erarbeiten muss, die andere wesentlich schneller erkennen.
Ist dies durchaus üblich oder bildet es eher eine Ausnahme? Wie hältst Du das?
Es sind zwei verschiedene Sportarten, wenn man einmal davon absieht,
dass auch grundlegende Gemeinsamkeiten bestehen. Aber, die bestehen
zwischen Tennis und Tischtennis oder zwischen Marathonlauf und Sprint auch.
Dennoch würde niemand auf die Idee kommen, von Boll einen Sieg in Wimbledon
zu erwarten oder Äthiopiens Langstreckler auch in jedem 100-Meter-Lauf vorn zu vermuten.
Der wesentliche Unterschied zwischen Schach und Fernschach besteht darin,
dass ich beim Fernschach 2400 mal soviel Bedenkzeit habe und Hilfsmittel benutzen darf.
Die Mehrheit der Fernschachspieler spielt auch normales Schach. Dennoch gibt es Fernschachspieler,
die Vorurteile gegenüber dem fehlerreichen "Nahschach" haben.
Vorurteile gibt es aber auf der anderen Seite mindestens ebensoviel.
Neulich las ich zum Beispiel auf einer Internetseite, dass man sich
nur mit einem PC weit in den IM-Bereich katapultieren könne. So etwas ist einfach lächerlich!
Der BdF hat hierzu Experimente durchgeführt und PC in ganz
gewöhnlichen Turnieren der nationalen Meisterklasse mitspielen lassen.
Nur einem Programm gelang der Klassenerhalt mit einem schlechten Resultat,
alle anderen wären sofort abgestiegen.
Um zur Frage zurückzukehren: Das ich beide Sportarten betreibe ist den meisten sicher bekannt.
Was macht für Dich den Reiz einer Fernschachpartie aus?
Fernschach ist für mich, seit ich wieder international spielen darf (1990)
mein hauptsächlicher Lebensinhalt geworden. Das mag theatralisch klingen,
ist aber die reine Wahrheit. Ob es süchtig machen kann: Und ob! Wahrscheinlich
ist diese Sucht auch nicht therapierbar.
Sind Fernschachspieler eine besondere Art Spezies? Wie siehst Du dich selber?
Nach meiner Kenntnis gehört der Fernschachspieler zu den Homo Sapiens,
zumindest jedoch zu den Humanoiden. Aber im Ernst: Einige bestimmte Eigenschaften
benötigt man schon, will man auf lange Sicht erfolgreich spielen und im Fernschach
darf Zeit nicht die entscheidende Rolle spielen. Es dauert alles sehr lange.
Irgendwie gehöre ich wohl zu dieser Spezies.
Haben Fernschachspieler grundsätzlich einen Computer? Muss man einen Internetzugang haben?
Wie sieht das konkret bei Dir aus?
Zumindest fast alle! Für bestimmte Turniere ist er unerlässlich, da die Zugübermittlung
per Email oder Server erfolgt.
Ein Internetzugang ist da selbstverständlich, auch für mich. Manchmal ist es zwingend erforderlich,
über die Turniersituation informiert zu sein. Stell Dir vor, ein Gegner bietet Dir remis an
und Du hast keine Ahnung, ob Dir das Remis den Turniersieg bringt oder ihn eben verschenkt!
Da bleibt nur der Blick auf die Turniertabellen und die stehen meist im Internet.
Du wirst gebeten, einen guten Fernschachspieler zu beschreiben. Was macht einen guten Fernschachspieler aus?
Welche Eigenschaften und Charaktere würdest Du nennen?
Auf jeden Fall gehört eine große psychische Belastbarkeit und viel Geduld dazu.
Logisches Denken und schachliche Kenntnisse sind von Vorteil. Sehr wichtig ist
eine selbstkritische Haltung vor allem gegenüber den eigenen Stellungen und Analysen und
dazu gehört auch ein gewisses Misstrauen gegenüber Schachprogrammen. Wer zum Knecht
seines Computers geworden ist verliert sehr schnell die Lust, weil er bald seine eigenen
Züge nicht mehr versteht und zunehmend auf zu hohe Hürden trifft. Man sollte schon
das nötige Selbstbewusstsein haben, den eigenen Zug zu spielen auch wenn die vielen "Fritzen"
und deren Kollegen einen anderen Vorschlag machen.
Du hast den Begriff ELO-Punkte im Verlauf des Interviews gebraucht.
Ist das identisch der ELO-Zahl der Fédération Internationale des Échecs (FIDE, dem Weltschachbund)?
Wie wichtig ist Dir persönlich diese ELO-Zahl?
Der Berechnungsmodus ist der gleiche, soweit ich das als Laie beurteilen kann. Einen gravierenden
Unterschied gibt es allerdings: Da Fernschachturniere Jahre dauern und sich zeitlich überschneiden
und da es innerhalb eines Turniers verschiedene Partiedauern gibt, wird bei der ICCF im Gegensatz
zur FIDE die Auswertung nicht turnierweise vorgenommen. Berechnungsgrundlage sind die Partien,
die innerhalb des Berechnungszeitraumes beendet worden sind. Derzeit beträgt der Berechnungszeitraum
ein halbes Jahr.
Die ELO-Zahlen sind schon wichtig. Oftmals richten sich Vorberechtigungen, z.B. für die
verschiedenen Phasen der Weltmeisterschaften nach ELO-Zahlen und Titeln. Aber auch in anderen
Fällen sind bestimmte ELO-Zahlen Voraussetzung für die Teilnahme an Turnieren. Hier möchte
ich nur die Normenturniere der ICCF nennen.
Allerdings gibt es noch eine weitere Zahl: Analog zu den DWZ des Deutschen Schachbundes hat
der BdF seine eigenen Wertzahlen (FWZ). Hier werden alle nationalen Turniere ausgewertet.
Berechnet werden die FWZ übrigens durch Thomas Schwetlick, der auch im BdF sehr aktiv ist.
In den einleitenden Worten sind Deine Titel genannt. Was muss man geleistet haben,
um solch einem Titel zu bekommen? Welcher Titel bedeutet Dir sehr viel?
Der BdF vergibt einige Titel, wie z.B. Nationaler Meister und Nationaler Meisterkandidat.
Die der ICCF sind natürlich wertvoller. Dies sind die Titel Internationaler Meister (IM),
Verdienter Internationaler Meister (SIM) und Großmeister (GM). Die Rangfolge entspricht der Reihenfolge der Nennung.
Diese drei Titel können durch die Erfüllung von Normen erworben werden. Im Fernschach gibt es ja
auf der Ebene der ICCF keine Turniere im Schweizer System. Dort lässt sich dann anhand der ELO-Zahlen
der Teilnehmer die Turnierkategorie errechnen. Diese legt dann fest, wie viele Punkte erforderlich sind,
um eine entsprechende Norm zu erfüllen. Das gilt übrigens für alle drei Titel gleichermaßen.
Neulich war in einer Schachzeitung zu lesen, der SIM-Titel wurde zur Abgrenzung der IM vor Beginn
des Computerzeitalters eingeführt. Das ist Unsinn! Der SIM-Titel ist insofern wertvoller als der IM-Titel,
als hierfür höhere Normen erfüllt werden müssen.
Die Erfüllung einer Norm reicht natürlich nicht. Für den IM- oder SIM-Titel müssen zwei Normerfüllungen
erbracht werden und dabei müssen mindestens 24 Partien gespielt worden sein. Für den Großmeistertitel
sind 3 Normerfüllungen erforderlich. Abgesehen davon, dass man hierfür ein Paar Partien mehr gespielt
haben muss, muss eine Mindestzahl von Partien gegen Großmeister gespielt worden sein.
Um den Ehrentitel Internationaler Schiedsrichter musste man bisher 5 Jahre als Schiedsrichter
im Fernschach tätig gewesen sein. Nach den neuen Kriterien ist hierfür die Leitung einer bestimmten Zahl
von geleiteten Partien erforderlich.
Am wertvollsten erscheint mir jeweils der Titel, an dem man gerade "arbeitet". Derzeit bemühe ich mich
um den SIM-Titel, den Andreas Schinke und Wolfgang Standke bereits auf dem nächsten ICCF-Kongress
im Herbst in Dresden erhalten werden. Zwei Normen habe ich bereits, aber nur 22 statt der geforderten 24 Partien.
Deshalb benötige ich noch eine dritte Norm. Gute Chancen habe ich beim derzeit laufenden 1. Malopolskacup,
einem polnischen Einladungsturnier. 6,5 Punkte sind für die SIM-Norm erforderlich. Aus der letzten laufenden
Partie gegen den brasilianischen Großmeister Marcio Oliveira benötige ich noch ein Remis mit Schwarz.
Die Stellung ist allerdings ziemlich scharf, da ich nicht ahnen konnte, dass ich gegen den starken
Polen Maciej Tritt nahezu kampflos gewinnen würde (Zeitüberschreitung). Vielleicht hätte ich ja während
der Fußball-WM etwas weniger lästern sollen ...
Hans-Jürgen, ich danke Dir für dieses umfangreiche Interview. Ich bin überzeugt davon,
dass Du das Thema Fernschach den »normalen« Schachspielern etwas näher bringen konntest.
Vielleicht hast Du mit diesem Interview dazu beigetragen, dass Image der Fernschachspieler etwas zu verbessern.
ENDE des Interviews.
Teil 1 des Interviews
Teil 2 des Interviews